Schreiben fürs Wohlbefinden – Eine Anleitung zum Selbstversuch

TimeaAllgemein

Schreiben als Therapie

Lesezeit: 5 Minuten

„Ich habe mir nie vorgenommen, zu schreiben. Ich habe damit angefangen, als ich mir nicht anders zu helfen wusste.“

Herta Müller, Literatur-Nobelpreisträgerin

Schreibtherapie ist genau das, wonach es sich anhört – Schreiben mit dem Ziel eines therapeutischen Nutzens. Angeleitetes kreatives Schreiben im Rahmen einer Psychotherapie erfolgt mit gezielten Schreibübungen und deren anschließender Analyse mit der Therapeutin. Ziel ist ein Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung und zu mehr Wohlbefinden. Es unterscheidet sich daher in sehr wesentlichen Punkten vom reinen Tagebuchschreiben, sofern der Fokus beim Tagebuch lediglich auf der chronologischen Darstellung vom Alltagsgeschehen und Lebensereignissen liegt.

Aber auch außerhalb einer Therapie spricht wenig dagegen, sich in Form einer Selbstanalyse kreativ (schriftlich) mit der eigenen Biografie und mit belastenden Lebensereignissen wie einer Trennung auseinander zu setzen und so die eigene Entwicklung und das eigene Wohlbefinden bewusst positiv zu beeinflussen.

Selbsterkenntnis durch Selbstanalyse: Eine 2500 Jahre alte Methode

Die Selbstanalyse ist nicht erst seit Sigmund Freud der Königinnenweg zur Selbsterkenntnis. Bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. stand an den Säulen des antiken Apollontempels im Heiligtum von Delphi die Inschrift „Gnothi seauton“ – Erkenne dich selbst. Sokrates baute eine ganze Philosophierichtung auf diesen Spruch auf, die die innere Selbsterkenntnis als einzige Quelle wahren Wissens betrachtete. Durch seine schriftlichen Selbstanalysen betrieb Sokrates eine frühe Form des selbsttherapeutischen Schreibens.

Die Reihe prominenter Selbstanalytiker führt im Mittelalter über den Heiligen Augustinus zu den – von der Inquisition vielfach als Ketzer verfolgten – Mystikern wie Meister Eckhart und seinen Schülern. Ab etwa dem 17. Jahrhundert wurde Tagebuch- und Briefeschreiben eine beliebte Methode, um sich mit großen Lebensveränderungen, dem Alltag, mit Gefühlen und Gedanken auseinander zu setzen. „Geschichten schreiben ist eine Art, sich das Vergangene vom Hals zu schaffen“, soll Dichterfürst Goethe gesagt haben, der ebenso wie Rainer Maria Rilke, Immanuel Kant oder Jean-Jacques Rousseau Schreiben zur Selbsterkenntnis betrieb.

Basierend auf Sigmund Freuds Erkenntnissen der freien Assoziation und dem Dreischritt „erinnern, wiederholen, durcharbeiten“, integrierte Alfred Adler im 20. Jahrhundert als erster Psychotherapeut das Verfassen von autobiografischen Texten in die Therapie. Mittlerweile sind die positiven Auswirkungen des therapeutischen Schreibens in Hunderten von Studien belegt. Die Verarbeitung von emotionalem Ballast durch therapeutisches, kreatives & biografisches Schreiben hat sich u.a. bei Depressionen, Trauer und Verlust, mangelndem Selbstwertgefühl, chronischen Krankheiten, posttraumatischen Belastungsstörungen, Erkrankungen des Immunsystems und schmerzassoziierten Krankheiten als besonders hilfreich herausgetan.

Erste Schritte zum Selbstversuch

Beim kreativen biografischen Schreiben geht es nicht um literarische Qualität, sondern darum, uns ehrlich mit unseren Gefühlen und Gedanken zu konfrontieren und mutig neue Perspektiven einzunehmen. Es herrschen keine Regeln, Sie brauchen keine korrekte Rechtschreibung oder ein bestimmtes Format. Erforderlich sind lediglich die Neugier und die Offenheit, Ihren Gedanken und Gefühlen auf die Spur zu kommen und diese schreibend zu erforschen.

Hier einige Ideen, um Sie im Selbstversuch auf den Weg zu bringen:

  • Suchen Sie sich das passende Medium und achten Sie auf Ihre Privatsphäre: Um von der sinnlichen Erfahrung des Schreibens bestmöglich profitieren zu können, wird meistens das Schreiben mit einem Stift auf Papier empfohlen. Wenn Sie sich aber mit einer Tastatur leichter tun, oder keine Möglichkeit haben, schriftliche Notizen vor neugierigen Augen zu schützen, spricht nichts dagegen, diese in digitaler Form zu verfassen.
  • Bereiten Sie sich vor: Bevor Sie loslegen, zentrieren Sie sich kurz. Kommen Sie einige Minuten lang zur Ruhe, nutzen Sie dazu leise Musik, Kerzen, Bauchatmung – was immer ihnen guttut. Nehmen Sie sich einen Zeitrahmen vor und stellen Sie sich den Wecker Ihres Handys: 5-15 Minuten sind völlig ausreichend.
  • Benennen Sie das Thema: Was passiert gerade in Ihrem Leben? Welche Gefühle haben Sie dazu? Welche Gedanken beschäftigen Sie? „Ich fühle…“, „Ich möchte…“, „Ich glaube…“, „Heute…“, „Im Moment…“.
  • Erforschen Sie Ihre Gedanken und Gefühle: Schreiben Sie das Datum auf und beginnen Sie zu schreiben. Hören Sie nicht auf, bevor Ihr Wecker nicht geklingelt hat. Wenn Sie den Faden verlieren, lesen Sie was Sie bisher geschrieben haben und schreiben Sie weiter. Denken Sie nicht viel nach, lassen Sie die Gedanken kommen und achten Sie nicht auf Rechtschreibung und Formulierungen. Es gibt keine Regeln! Schreiben sie zügig, dann haben Ihr innerer Kritiker und Ihr innerer Zensor keine Zeit, Sie in die Schranken zu weisen.
  • Seien Sie ehrlich zu sich selbst: Ihre eigene Wahrheit ist nicht Ihr Feind. Das strukturierte Aufschreiben von Gedanken kann Ihnen dabei helfen, sich mit Dingen auseinanderzusetzen, die Sie sonst eher meiden würden. Das Ziel sollte sein, so ehrlich und offen wie möglich über Dinge zu schreiben, bei denen Sie eine emotionale Verhaftung spüren. Erlauben Sie sich die Wahrheit auszusprechen und erlauben Sie sich, dies in Ihrem eigenen Tempo zu tun. Wenn die Wahrheit jedoch zu schmerzhaft oder hart ist, nehmen Sie die Geschwindigkeit heraus und lassen Sie sich Zeit damit. Sie müssen sie nicht hier und jetzt schonungslos aussprechen.
  • Reflektieren Sie das Geschriebene: Nachdem Sie Ihre Schreibetappe beendet haben, lesen Sie das Geschriebene nochmals durch und reflektieren Sie in 1-2 Sätzen darüber. „Wenn ich das jetzt lese, bemerke ich…“, „Mir wird klar, dass…“, „Ich fühle…“. Notieren Sie eventuelle Schritte, die sich hieraus ergeben.
  • Heben Sie Ihre Texte auf: Manchmal kann uns der Inhalt des Geschriebenen im Nachhinein wirr und chaotisch vorkommen oder Schamgefühle erzeugen. Behalten Sie Ihre Texte trotzdem und lesen Sie sie später wieder. Oft schlummert in genau solchen Einträgen der Samen der Erkenntnis und man ist überrascht, wie viel Wissen um die Lösung des Problems man schon zu Beginn in sich trug. Betrachten Sie Ihre Reflexionen wohlwollend und als Ressource auf Ihrem Weg zu einem besseren Wohlbefinden.

Ein Wort zum Schluss

Kreatives biografisches Schreiben kann eine wertvolle und persönlich bedeutsame Erfahrung sein und uns bei einschneidenden Lebensereignissen dabei unterstützen, unser emotionales Gleichgewicht wieder zu erlangen. Ziel ist es daher NICHT, sich stundenlang ins eigene Elend hinein zu schreiben und in eine emotionale Abwärtsspirale hinein zu schlittern.

„Die sinnvollste Möglichkeit, das beste aus einer Trennung zu machen, ist diese: Sich zu überlegen, wie man in Zukunft leben möchte, was man aus der zu Ende gegangenen Partnerschaft lernen kann, und dann nach vorne zu schauen und diese Zukunft Schritt für Schritt zu erschaffen. Aus der Vorstellung eines guten Lebens können Sie die Kraft ziehen, eine unbefriedigende Gegenwart besser zu ertragen. Das Schlechte geht vorüber. Sie sind auf dem Weg in eine bessere Zukunft.“ (aus: Zufrieden geschieden. So machen Sie das Beste aus Ihrer Trennung von Thomas Hohensee und Renate Georgy, Scorpio Verlag 2016).

Ich wünsche Ihnen die Weisheit, auch in Krisenzeiten nicht das Gute im Leben aus den Augen zu verlieren und viel Erfolg bei der kreativen Erforschung Ihrer Biografie.

Herzlichst Ihre

Konkrete Informationen darüber, wie ich Sie begleiten kann, finden Sie hier >> Trennungsberatung

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